Historie: Wer war eigentlich Carl Miller?

Antje Buschschulte über
– Magdeburg in der Geschichte des DSV –

In diesem Jahr begeht der Deutsche Schwimmverband (DSV) sein 125-Jähriges Jubiläum und zu diesem Anlass fiel mir am 4. Juni beim Ehemaligentreffen in Berlin eine Broschüre in die Hand. In dieser ist ein großer Zeitstrahl abgebildet mit den für die Autoren wichtigsten Ereignissen im Leben des Verbandes zwischen 1886 und 2011.

Als ich 1996 mit 17 Jahren nach Magdeburg kam, wusste ich dass Dagmar Hase Olympiasiegerin war, es in Magdeburg eine Sportschule gab und viele gute Schwimmer aus Magdeburg kamen. Irgendwann fragte ich meinen Trainer Bernd Hennberg, wer denn dieser „Ete“ Rademacher sei, dessen Büste in der Elbe-Schwimmhalle zu sehen war und bekam eine Idee, dass aus Magdeburg auch schon in früheren Zeiten gute Schwimmer gekommen waren.
Im Sommer 1997 wollten wir einmal im „Kamilla“-Freibad schwimmen gehen und ich assoziierte mit Kamilla eher ein Mitglied der englischen Königsfamilie als irgendjemanden nachdem ein Schwimmbad benannt sein könnte. Aus der etwas nachlässigen Sprache der Magdeburger war auch wirklich kein Carl Miller herauszuhören.

Und jetzt weiß ich endlich warum das Carl-Miller-Bad so heißt, wie es heißt.
Dazu steht in der DSV-Chronik:
8. August 1886. 31 Vertreter aus 9 Vereinen gründen in Berlin den Deutschen Schwimm-Verband (DSV). Die Gründer-Vereine: …Magdeburger Schwimm-Club von 1883… (Die anderen Vereine sind aus Berlin, Hamburg, Dresden, Breslau und Dessau.) Der 1. Verbands-Vorsitzende des DSV heißt Carl Miller / Magdeburg, der 24 Stunden vorher gekürte Meister Max Hille, wird 1. Schriftführer.“

Das nenne ich einmal Zusammenarbeit von Sportlern und Funktionären! Heutzutage funktioniert nicht jeder Funktionär für seine Athleten, wo es doch letztendlich um den Sport gehen sollte in einem Sportverband. Als Beispiel sei nur genannt, dass die Nationalmannschaft grundsätzlich Economy fliegt, während diese Regel für Funktionäre nicht unbedingt gilt.

Zurück zu Carl Miller, der außerhalb des DSV eher als Fabrikant und Kommunalpolitiker bekannt war. Es war also ein Magdeburger der erste Amtskollege von Frau Dr. Christa Thiel (DSV-Präsidentin)! In der Frühzeit des organisierten Schwimmens war Berlin ein wichtiger Ort, aber es ist nicht übertrieben Magdeburg bis zum 2. Weltkrieg eine ebenso überragende Rolle zuzuschreiben.
1908 trifft man auf Arno Bieberstein, der den Magdeburgern heutzutage durch einen gleichnamigen Wettkampf bekannt ist. Er gewann die 100 m Rücken bei den 4. Olympischen Spielen 1908 in London. Kurt Behrens gewann dort ebenfalls im Kunstspringen.
1908 wird auch die FINA (Weltschwimmverband) gegründet und für Deutschland gehört Max Ritter (1886-1974) zu den Gründungsvätern. Als amerikanischer Staatsbürger ist er von 1960-1964 Präsident der FINA. 1969 wird die neue Schwimmsportschule in Saarbrücken nach ihm benannt. Und wo kommt Max Ritter her? Natürlich aus Magdeburg!
1908 ist ein großes Jahr für die Magdeburger, denn Petra Gerstung aus Magdeburg schwimmt auch noch am 8. Oktober in Magdeburg den ersten offiziellen Frauen-Weltrekord. Sie benötigte 1:35,0 für 100 m Freistil.
1919 nehmen Frauen erstmals mit 6 Wettbewerben an Deutschen Meisterschaften teil. Und wo fand dieses wichtige Ereignis für die Frauen im Sport statt? In Magdeburg.

Erst jetzt treffe ich in der DSV-Chronik auf einen mir alten Bekannten.
1923. Erich „Ete“ Rademacher / Magdeburg, das Idol des deutschen Schwimmsports der 20er und 30er Jahre, öffnet mit seinen Erfolgen ab 1923 die sportliche Isolation Deutschlands im internationalen Sport nach dem 1. Weltkrieg. Zwischen 1916 und 1933 gewinnt er 998 Rennen, schwimmt dabei 9 Weltrekorde. Nach einer triumphalen Amerika-Reise 1926 empfängt ihn Reichspräsident Paul von Hindenburg in einer zweistündigen Privataudienz.

Es geht fröhlich weiter im schwimmfreundlichen Magdeburg.
1926. Ein „Fest der alten Meister“ wird erstmals im Verbandsbereich des DSV in Magdeburg durchgeführt.

18. bis 22. August 1926. Die Schwimmer und Springer des DSV dominieren die 1. offiziellen Europameisterschaften in Budapest. Der auf Samoa geborene Gustav Fröhlich von Hellas Magdeburg gewinnt den EM-Titel über 100 m Rücken, Erich Rademacher den über 200 m Brust, die deutsche 4 x 200 m Freistil-Staffel startet eine große Erfolgsreihe, Arthur Mund aus Halberstadt vom Brett und Hans Luber vom Turm setzen mit ihrem 1. EM-Gold die deutsche Springer-Tradition fort.

Am 30. August 1927 wurde die LEN (Europäischer Schwimmverband) gegründet und bei der 2. EM in Bologna können die Frauen ebenfalls starten. Ete Rademacher wiederholt seinen Vorjahreserfolg und Hilde Schrader aus Magdeburg gewinnt ebenfalls die 200 m Brust.
1928 wird Erich Rademacher bei den 9. Olympischen Spielen in Amsterdam Olympiasieger, nur dieses Mal im Wasserball. Er ist Torhüter der Deutschen Nationalmannschaft im Spiel gegen Ungarn. Eine Stunde zuvor hatte er die Silbermedaille über 200m Brust gewonnen. Ebenfalls Gold im Wasserball gewannen Etes Magdeburger Mannschaftskollegen Otto Cordes, Emil Benecke, Max Amann und sein Bruder Joachim Rademacher. Seine weibliche Kollegin im Schwimmen Hilde Schrader wurde Olympiasiegerin über 200 m Brust.
1934 ist Magdeburg der Austragungsort der ersten Schwimm-Europameisterschaften in Deutschland. Die Organisation vor Ort lag in den Händen des Magdeburger Schwimm-Clubs von 1896. 17 Nationen hatten insgesamt mehr als 300 Athleten gemeldet und damit die Zahlen aus den ersten drei Weltmeisterschaften in Budapest, Bologna und Paris übertroffen. Der Fortschritt im Schwimmsport war zu spüren, denn mit keiner der Siegerzeiten von Paris 1931 hätte man in Magdeburg gewinnen können. Die Wettkämpfe fanden in der eigens errichteten, so genannten Europakampfbahn im Stadion neue Welt statt, die über ein 50-Meter-Becken und eine Sprunganlage mit 3-Meter-Brett und 10-Meter-Turm verfügte. (Quelle: Wikipedia)
Das erste Hallenbad auf europäischem Boden stand übrigens auch in Magdeburg. Leider steht das Hallenschwimmbad Sternbrücke von 1831 nicht mehr.
So viel schwimmerische Tradition hat wohl kaum eine andere Stadt in Deutschland vorzuweisen, aber ob dies auch für die Zukunft ein gutes Omen ist, wird sich zeigen.