Wellbrock auf dem Weg zum Olymp

Von Daniel Hübner

Magdeburg | Der Stress nach dem Stress endete mit einem Kartenspiel. Florian Wellbrock und Marius Zobel sicherten sich also in ihrem Zimmer im Athletendorf mit dem Kreuzbuben oder dem Herzass den letzten Stich. Zum Schlafen sind sie nicht mehr gekommen, „das hat sich nicht gelohnt“, berichtet Zobel. Es war schon nach Mitternacht am vergangenen Montag, es waren nur noch wenige Stunden vor der Abreise in die Heimat. So verging also die Zeit nach einem historischen Sieg bei der Weltmeisterschaft in Gwangju (Südkorea).

Zobel hatte seinen Teamgefährten vom SC Magdeburg ja den ganzen Tag zuvor begleitet. Zum Einschwimmen, zum Start, zum Ausschwimmen, zur Siegerehrung. Es folgten noch eine Dopingkontrolle, eine Pressekonferenz, das verspätete Abendbrot gegen 23.30 Uhr. Das Festmahl für den Sieger, den Weltmeister, den Doppelgoldgewinner. Zuerst über die zehn Kilometer im Freiwasser im Yeosu Ocean Park, zuletzt über die 1500 Meter Freistil im Nambu Municipal Aquatics Center in Gwangju. Wellbrock hatte damit die letzte Stufe auf der Treppe zum weltbesten Langstreckenschwimmer genommen, die nächste Stufe führt ihn direkt zum Olymp – womöglich schon 2020 bei den Spielen in Tokio.

Durch die Decke gegangen

Es war im Sommer 2014 sicherlich noch nicht sein Plan gewesen, fünf Jahre später und „schon so durch die Decke zu gehen“, sagt Wellbrock. „Wenn ich meine beiden Goldmedaillen in der Hand halte, wie ich es früher mal bei Paul Biedermann im Fernsehen gesehen habe, dann muss ich sagen: Das ist ungaublich.“

Oder unfassbar, wie sein Trainer Bernd Berkhahn gerne sagt. Seit Wellbrocks Wechsel zum SCM geht es für ihn unter dem 48-jährigen Coach auf der Karriereleiter ständig nach oben. Aber spätestens jetzt ist er der Star des deutschen Schwimmens, der mit einem weiteren Star des deutschen Schwimmens in einer eheähnlichen Beziehung lebt. Sarah Köhler, 25, ist mit Silber über 1500 Meter und zwei deutschen Rekorden ebenfalls in der Weltspitze angekommen. Womit beide noch intensiver in den öffentlichen Fokus rücken.

Der Medienrummel wächst

„Tendenziell hat der Medienrummel schon zugenommen“, sagt Wellbrock. Was durchaus anstrengend ist, wenn man „gerade ein bisschen abschalten will“. Andererseits: „Es gehört eben auch dazu.“ Wie die Präsentation der beiden bei der Eröffnung der 131. deutschen Meisterschaften in Berlin, wo Köhler gestern über 400 Meter Freistil bereits ihr zweites Gold in starken 4:07,16 Minuten gewann und Wellbrock die nationale Konkurrenz über 800 Meter in ebenso schnellen 7:47,69 Minuten hinter sich ließ. Oder wie der Besuch heute Abend im ZDF-„Sportstudio“. Inzwischen ist das Paar sogar mehrmals gefragt worden, wann es denn heiratet. Und das Paar hat darauf mehrmals geantwortet: keine Ahnung.

Wellbrock redet dann doch lieber übers Schwimmen. Über seine Taktik, die er nicht immer ganz konform zur Absprache mit seinem Trainer Berkhahn im Rennen wählt. Wie über die zehn Kilometer: „Da sollte ich zurückhaltender schwimmen, aber da hatte ich irgendwie keine Lust drauf“, berichtet der 21-Jährige lächelnd. Über die 1500 Meter war das anders: „Es war der Plan, mit Gregorio Palrinieri mitzugehen“, erinnert sich Wellbrock, an ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit dem Italiener und dem Ukrainer Michailo Romantschuk. Wellbrock war bewusst: „Ich bin der Schnellste in der Welt auf den letzten 100 Metern, das hat mir Sicherheit gegeben.“

Das Experiment geht auf

Nach der letzten Wende, als er die halbe Sekunde Vorsprung auf Romantschuk realisiert und noch bevor er angeschlagen hatte, wusste Wellbrock bereits: „Ich bin Weltmeister.“

Wieder Weltmeister. Auch Weltmeister eines gelungenen Doppelstart-Experiments, mit dem er zugleich circa 37600 Euro an Prämie verdient hat. „Das ist aufgegangen, besser, als es zu erwarten war“, freut sich Berkhahn. Denn was Ex-Bundestrainer Henning Lambertz Wellbrock bei der Europameisterschaft 2018 in Glasgow noch verwehrt hat, hat ihm Berkhahn von Anfang an zugetraut. Und Wellbrock selbst natürlich auch. Sein Coach resümiert: „In diesem Jahr hat wirklich alles sehr gut gepasst: die Belastungen, die Trainingslager, die Inhalte. Alle waren auf dem Punkt fit. Die Frage ist letztlich, was am Wettkampftag ins Wasser kommt. Das war nicht immer optimal.“

Der Plan vom doppelten Glück

Nicht bei Franziska Hentke, die Vierte über 200 Meter Schmetterling wurde, auch nicht bei Wellbrock. Das Vorlauf-Aus über 800 Meter Freistil gab allen Rätsel auf. Nur ihm nicht. „Mental hatte ich das ganz schnell abgehakt“, berichtet er. Und sportlich? „Es ging einfach nicht, ich hatte einfach einen scheiß Tag.“ Und der lässt sich auch nicht erklären mit dem Abstand von sieben Tagen zwischen dem Freiwasser-Sieg und seinem ersten Becken-Start „Das ist abslouter Blödsinn. Wir hatten zwei Tage zuvor 800-Meter-Testserien absolviert, und die waren sehr gut.“

Das Experiment endete trotzdem in der Gewissheit, den Plan vom doppelten Glück auch bei den Sommerspielen im nächsten Jahr zu verfolgen. Oder vom dreifachen oder vierfachen Glück. Denn für Berkhahn ist es zumindest vorstellbar, seinen Schützling dann über 400, 800 und 1500 Meter Freistil starten zu lassen. Zumal die Freiwasser-Rennen erst in der Woche nach den Becken-Wettbewerben ausgetragen werden. Wellbrock sagt: „Über die 400 Meter könnte man nachdenken. Aber meine Bestzeit steht bei 3:45,59 Minuten, da müsste ich mich schon noch steigern.“ Auch Berkhahn will zunächst abwarten, wie sich „Florian in Geschwindigkeit und muskulär entwickelt“.

Deckel drauf, ab in die Vitrine

Egal über welche Strecke: Edelmetall will Wellbrock aus Tokio mitnehmen. „Eine olympische Medaille kann man sich auch mal an die Wand nageln“, sagt er lächelnd. Das doppelte WM-Gold nicht? „Es ist nicht so, dass ich mit den Medaillen sonntags rausgehe, um mit ihnen zu spielen“, erklärt Wellbrock in seinem typisch trockenen Humor. Stattdessen kommen sie in eine Hülle, Deckel drauf und ab in die Vitrine.

Irgendwann, so Wellbrock, kann man sie selbstverständlich seinen Kindern und Enkelkindern zeigen. Irgendwann ist allerdings weit weg: „Ich bin ja selbst noch ein Kind“, sagt Wellbrock lachend, „ich muss erst mal 22 werden.“

Am 19. August feiert Florian Wellbrock seinen Geburtstag. Und Marius Zobel mischt schon mal die Karten.

Quelle: volksstimme.de