Erst war John Naber im Wohnzimmer der Magdeburger Familie Nord über die Mattscheibe geflimmert, in einer Juli-Nacht 1976. Die Fernsehbilder wurden aus Montreal übertragen, in Kanada liefen die Olympischen Spiele. “John Naber”, sagt Kathleen Feldvoss, geborene Nord, “war mein Vorbild, er war der Erste, der über 200 Meter Rücken unter zwei Minuten geblieben ist.” Und ein ganz Sympathischer war Naber außerdem, weshalb für die damals zehnjährige Kathleen feststand. “Ich möchte unbedingt zu Olympischen Spielen.”
Dann hatte sich Tom Selleck an den DDR-Kanälen vorbeimanövriert. In seinem roten Ferrari fuhr der große Mann mit dem Schnauzbart Anfang der 80er Jahre direkt in ihr Teenagerherz. Selleck ermittelte als Privatdetektiv der US-amerikanischen Serie “Magnum” im westdeutschen Fernsehen. “Ich war so blöd, das in der Sportschule zu erzählen, dafür haben sie mich beinahe rausgeschmissen”, erinnert sich Kathleen Feldvoss lachend. Das tat aber niemand, und deshalb hatte sie gleich zwei Ziele bei den Olympischen Spielen in Los Angeles (USA) 1984: Gold gewinnen und Tom Selleck treffen. “Ich war für drei Disziplinen damals qualifiziert, und ich wäre gute Rennen geschwommen”, ist sie sich heute noch sicher.
Nur der Sozialismus hatte damals etwas anderes im Sinn: den Boykott der Spiele. “Das war die schwerste Zeit meines Lebens”, erinnert sich die 49-Jährige. “Keiner von uns hatte das eingesehen, trotzdem mussten wir der Presse erklären, das war die richtige Entscheidung.”
Träume durften junge Sportler haben in der DDR, Siege waren besonders erwünscht, nur Niederlagen passten nicht ins System, politische Einwände kosteten die Karriere. “Es ging nur nach oben oder nach unten”, erklärt Feldvoss. “Diesen Druck habe ich immer gespürt. Aber ich bin auch ein optimistischer Mensch, ich hatte immer einen starken Willen. Wenn du so hart trainierst, jeden Morgen um 5 Uhr aufstehst, jede Woche bis zu 100 Kilometer schwimmst, dann soll es nicht umsonst gewesen sein”. Vom SCM, für den sie seit der zweiten Klasse schwamm, sagt sie, kam kein Druck. “Der kam immer von ganz oben. Beim SCM war es immer familiär, das hat sich bis heute nicht geändert.” Und heute schwimmen ihre Töchter Emily und Laura für Grün-Rot.
Das goldene Zeitalter der Kathleen Feldvoss begann mit Silber über die 400 Meter Lagen bei ihrer ersten Weltmeisterschaft 1982 in Guayaquil (Equador): “Das war mein Durchbruch.” Über Jahre bestimmte sie auf dieser Distanz das Weltniveau. Sie gewann bei der Europameisterschaft 1983 in Rom (Italien), auch bei der WM 1986 in Madrid (Spanien). Aber dann “hatte ich mir etwas eingefangen, war lange krank, war so kaputt. Und ich musste wieder ein Ziel finden.” Ein Ziel gab es ja noch: Olympia.
Das ging Feldvoss nach ihrer Genesung in zwei Disziplinen an: Ihr Trainer Bernd Henneberg hatte zu den 400 Meter Lagen die 200 Meter Schmetterling ins Programm aufgenommen, “weil ich dafür die beste Ausdauer hatte”. Beides schwamm sie auch in Seoul, bei den Sommerspielen 1988 in Südkorea. In jener Zeit, als die Welt die Hymne “Hand in hand we stand” sang, reichten sich das Leid und Glück der Kath-leen Feldvoss die Hände.
Sie war am Ziel, sie hatte es John Naber gleichgetan. Sie war eine Favoritin auf ihren Strecken. Aber zwischen beiden Starts musste Trainer Henneberg in all seiner Ruhe dem traurigen “Vulkan” Feldvoss allen Mut dieser Erde zusprechen, um die damals 23-Jährige wieder auf Goldkurs zu bringen. Nur Platz fünf auf der Lagenstrecke, eine Enttäuschung für die Perfektionistin: “Ich hatte Rücken verhauen, das war sowieso mein Schwachpunkt, das war einfach Kopfsache.”
Eine Woche lang musste sie zusehen, wie andere die Medaillen gewannen, die sich letztlich auf 22 von 45 möglichen durch DDR-Schwimmer summierten. Ein Fest für den Sozialismus. Sollte Feldvoss etwa leer ausgehen?
Der 19. September, das Finale über 200 Meter Schmetterling. Feldvoss: “Ein verrücktes Rennen. Nach 100 Metern hatte ich zwei Sekunden Rückstand. Nach 150 Metern war es noch eine Länge. Nach 170 Metern habe ich angezogen, und ich habe Glück gehabt.”
Sie zog an Mary T. Meagher (USA) vorbei, sie holte die führende Birte Weigang (Erfurt) ein, sie sicherte sich Gold. In 2:09,51 Minuten, vier Zehntelsekunden vor Weigang. “Ich war erleichtert, richtig erleichtert. Aber danach konnte ich erst mal kein Wasser mehr sehen.”
Wer bei Olympia gewinnt, hat alles erreicht. Sich neue Ziele setzen, sich bis zu den nächsten Spielen quälen, jeden Morgen um 5 Uhr aufstehen, 100 Kilometer pro Woche schwimmen, auch Zweifel durchleben, das kostet Kraft. Mit der Wende stellte sich auch Feldvoss die Frage nach der Zukunft. Die Antwort gab sie sich 1990 mit dem Karriereende: “Der Ofen war einfach aus.”
Es zog sie in die USA. Sie studierte, heiratete, gründete eine Familie. Und sie war weit weg von der damaligen Aufarbeitung des DDR-Dopings, auch deshalb “habe ich mich nicht damit beschäftigt”, sagt sie. “Und weil ich wusste, dass ich auf der schwarzen Liste stand, in der Presse als verdächtig aufgeführt wurde. Aber ich denke, 25 Jahre nach der Wende hat es keinen Sinn mehr, darüber zu diskutieren.”
Vor zwei Jahren nahm sie ihre vier Mädchen Sophie (17), Emily (14), Laura (9) und Claire (6) an die Hand und kehrte in ihre Heimat Magdeburg zurück – weil das Studium ihrer ältesten Tochter unbezahlbar gewesen wäre, weil sich nie ein Freundeskreis im Wohnort Daphne (Alabama) aufbauen wollte.
Für ihr zweites Leben nach dem Sport hat sie sich bereits eine Medaille verdient, geschenkt von ihren Kindern, mit der Aufschrift: “Mama ist die Beste.” Sie gehört genauso zu ihrer Sammlung wie die zwölf Medaillen, die sie von internationalen Meisterschaften mitgebracht hat, zu jenen Träumen, die sich für sie als Sportlerin erfüllt haben.
Selbst John Naber hat sie mal in den 90er Jahren getroffen und ihm ihre einstige Begeisterung für seine Leistungen mitgeteilt. Nur Tom Selleck, der wird immer eine Erinnerung ihres Teenagerherzens bleiben.
von Daniel Hübner
Quelle : volksstimme.de